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RIZIKI

  • Autorenbild: Daniela Kessler - Tiefenthaler
    Daniela Kessler - Tiefenthaler
  • 28. Nov. 2022
  • 6 Min. Lesezeit




Riziki ist ein liebenswertes junges Mädchen, 18 Jahre alt


MIT EINEM SEHR TRAGISCHEN SCHICKSAL


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Riziki ist in der Silvesternacht vom 31.12.2021 auf den 01.01.2022, in einen ungesicherten Brunnenschacht von mindestens 13m Tiefe gefallen.


In der Tiefe des Brunnens konnte niemand ihre Rufe hören, es war auf der Strasse ein buntes Treiben und lange fiel die Abwesenheit von Riziki nicht auf.


Erst nach 3 Stunden wurde sie von ihren Freunden vermisst, respektive gefunden.

Sie verharrte in einem dunklen schmalen Schacht, kein Licht, Schmerzen und unfähig sich zu bewegen..

Dieses Mädchen muss unsagbare Ängste ausgestanden haben.

Ob sie zu diesem Zeitpunkt ihre Beine schon nicht mehr spüren konnte, ist unklar.


  • Riziki erlitt eine Wirbelsäulenverletzung

einen Splitterbruch des 6 und 7 Wirbels


Ob sich Riziki diese Verletzung bereits beim Sturz zugezogen hat oder bei der anschliessenden Bergung ist unklar.

Auch unklar ist, wie das Mädchen geborgen wurde.

Mit einem Seil, mit brachialer Gewalt

oder ob jemand zu ihr in den Brunnenschacht stieg.

Hierin kann man sich nur ein Horrorszenario vorstellen.



Einweisung nach Mombasa ins Gouvermenthospital


Die Mutter von Riziki sitzt nun schon seit 5 Wochen Tag und Nacht bei ihrer Tochter im Krankenhaus in Mombasa. Etwa 1.5 Autostunden entfernt von ihrem eigenen zu Hause.


Die Mutter Zaituni hat dort nicht einmal ein Bett, zum Schlafen setzt sie sich in einen Stuhl, inmitten der anderen vielen Patienten. Sie schläft kaum und laut Cassandra, hat sie deutlich an Gewicht verloren.


Normalerweise betreibt Zaituni an der Mainroad vom Galubeach einen kleinen Shop mit Früchte, Gemüse, Wasser, Zigaretten und Anderes um ihre Familie zu ernähren, doch diesen Part übernimmt nun ihre zweitälteste Tochter, anstatt in die Schule zu gehen, hält sie die Stellung im Shop, denn von etwas muss die Familie leben.

Und die Einnahmen in solch einem Shop sind tatsächlich sehr geringfügig.

Man stelle sich vor, dass wenn man Zigaretten kaufen möchte, einem einzelne Zigaretten angeboten werden, einzelne Zigaretten.

Für uns ist das überhaupt nicht vorstellbar.


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Der Besuch im Gouvermenthospital


Wir besuchen Raziki in Mombasa im Krankenhaus.

Wir halten vor einem Gebäude, welches eher wie ein altes Fabrikgebäude aussieht, desolat mit unglaublich vielen Menschen davor.

Wächter durch das Militär gestellt mit ihren grossen Maschinengewehren, Bettler und Menschen denen die Armut ins Gesicht geschrieben steht.

Behinderte, Leidende, alt und jung.

Menschen die dich anstarren...


Das Leid kann man irgendwie in der Luft riechen, spüren, wahrnehmen..

Mir krampft sich hier schon der Magen zusammen und beklemmt laufen wir zum Haupteingang, wo uns Zaituni abholen will...

Während wir warten, drängen sich Schlangen an Menschen in das Krankenhaus. Ein Uniformierter mit einem Maschinengewehr kontrolliert den Eingang, führt unwillkürlich Kontrollen aus, manche werden aufgehalten, andere drängen sich durch den schmalen Eingang.


Endlich, Zaituni holt uns ab, sie führt uns durch den hinteren Eingang in das Spitalgebäude, welches auf mich wie eine stillgelegte verarmte Fabrik wirkt, wären da nicht die Massen an Menschen, welche an verschiedenen Schaltern warten, bis sie an der Reihe sind. Die Wartezeiten betragen bis zu vier Stunden, es gibt nur wenig desolate Plastikstühle, einige sitzen im Innenhof in der prallen Sonne, andere auf Steinmauern, und diese verdichtete kranke Energie ist an jeder Ecke wahrnehmbar.


Doch das Bild das sich mir danach bietet, gleicht einem Kulturschock.

In einem grossen Wachsaal stehen gefühlt 50 Betten, Menschen die Bett an Bett liegen.

Hygiene, das ist hier ein Fremdwort, Privatsphäre, so etwas gibt es in der Armut nicht.





Durch den grossen Eingang des Saales, schlägt dir ein widerlicher Geruch entgegen, es ist heiss und schwül. Die Luft steht....

Schreie durchdringen den Raum, ein grosses Jammern, lautes Weinen, ängstliche Stimmen und bitterliches flehen.

Einer Dame wurde gerade das Bein abgenommen, sie scheint entsetzliche Schmerzen zu haben und schreit laut...

Eine andere Frau wird gerade frisch gemacht, Intimpflege kann dies nicht genannt werden. An die Leintücher, welche auf den Boden geschmissen werden, werden ihre Exkremente gewischt, notdürftig ein Paravent in Form eines löchrigen Leintuches an einem Seil befestigt, davor gehängt, ein Fetzen Stoff der wahrscheinlich die Nachkriegszeit überlebt hat. Ich kann der Dame in den Schritt und auf das Gesäss sehen.


Alle im Saal hören das Schreien, das Wimmern und riechen den entsetzlichen Gestank von Urin, Stuhlgang und Schweiss.

Körperpflege? Das ist hier ein Fremdwort, dafür gibt es die Angehörigen, welche gleichfalls bunt durchmischt im Raum stehen.

Verschmutzte Lacken liegen auf dem abgescheuerten Boden. Ein Rollwagen, auf dem sich Pflegeutensilien befinden, baumelt irgendwo im Raum, steril oder zumindest sauber, Fehlanzeige.

Der Rollwagen wird von Bett zu Bett weitergeführt, welche in Reih und Glied, eng an eng stehen, sodass kaum eine Person dazwischen stehen kann.


Menschen, welche dir fremd sind, sterben in der Nacht, am Morgen siehst du nur mehr das leere Lacken, auf dem schon bald ein neuer Körper liegt.

Der Geruch beisst in der Nase.

Aus einer anderen Ecke ruft eine Frau, sie scheint Schmerzen zu haben. Sie wird einfach weiter rufen, ich weiss nicht ob jemand kommt und sie versorgt. Kontaminierte Bettwäsche wird jetzt auf dem Rollwagen transportiert. Spritzen baumeln gleich daneben auf der Ablagefläche. Das Gesamtbild erschüttert mich, ich weiss nicht was ich mir vorgestellt habe, aber dieses Bild der tiefen Armut, prägt sich nicht nur in meine Bewusstsein sondern auch tief in mein Herz.


Riziki schläft als wir kommen, das traurige Resultat von dem Unfall ist, dass Riziki von der Hüfte abwärts gelähmt ist, ihre Beine überhaupt nicht mehr spüren kann, nur auf dem Rücken liegt und Urin und Stuhlgang nicht mehr halten kann.

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Die Mutter von Riziki zeigt mir die CT Bilder, ein Splitterbruch ist deutlich zu erkennen, mir schiessen Gedanken durch den Kopf, wie - das wird nichts mehr, das arme Mädchen wird ein Leben lang im Rollstuhl sitzen.



Jedoch als Riziki wach ist, bemerke ich in mir, dass ich sofort wieder in meine alte Stärke zurück falle, wenn ich am Bett eines Patienten stehe.

Fürsorge und wohlwollende empathische Wahrnehmung bestimmen mein Handeln an einem Krankenbett.

Mein Gegenüber verspürt sofort die helfende Option, welche von mir als Krankenschwester ausgeht.

Den Bedürftigen Nähe zu schenken, die Hände zu halten, Verständnis und ein offenes Herz zu schenken, bedeuten oft schon Attribute, welche Offenheit, Vertrauen und Hoffnung fördern.


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Von Cassandra weiss ich, dass Riziki normalerweise ein fröhliches ausgelassenes junges Mädchen ist. Schüchtern blickt sie mich an, ich habe nicht den Eindruck, dass sie bei sich selber ist, sie wirkt wie in Trance.

Ihre Beine liegen schlaff im Bett, Am Fussende blickt ein überfüllter Katheter unter der Bettdecke hervor. Eine notdürftige wattierte Matte dient als Antidekubitusprophylaxe.

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TAUBE BEINE

Ich berühre die Beine von Riziki und sie reagiert nicht. Ich erhöhe den Druck der Berührung, keine Reaktion. Als ich sie frage, ob sie meine Berührung spüre, antwortet das Mädchen mit Ja.

Selbstschutz, imaginäres Empfinden? Verdrängungsmechanismus der Psyche?


Nein, es war für mich ganz klar, dass sie die Berührung nicht spüren konnte, auch die Mutter bemerkte dies und sah erschöpft aus. Ich glaube jeder einzelne Millimeter Mut hätte ihr in dieser Situation gut getan. Doch wenn man selbst erschüttert ist, ist es schwierig, jemand anderem Mut zuzusprechen....

Riziki wirkt gleichfalls sehr erschöpft, somit verabschieden wir uns auch bald wieder...


Wiederum führt unser Weg an den Menschenmassen vorbei, welche bis zu 4 h für eine Behandlung warten.

Dass dies hier das billigste Spital ist, ist deutlich zu sehen, die Ärmsten werden hier kostenlos behandelt, dies bedeutet aber auch, dass sie teilweise so lange anstehen, um nur ihre Medikation abzuholen. Hier werden die Medikamente nicht mitgegeben, denn man fürchtet, die Einheimischen würden diese auf dem Schwarzmarkt verkaufen, um selber an etwas Geld zu gelangen. Die Medikamente werden gemörsert, verdünnt und in Spritzen aufgezogen, um sie auf diesem Weg zu verabreichen.


Mit einem beklemmenden Gefühl verlassen wir das Spital. wie in Trance steige ich in das Auto ein, gefangen von den vielen schmerzlichen Eindrücken und normalerweise bin ich nicht nahe am Wasser gebaut, aber jetzt konnte ich nicht mehr an mich halten und begann loszuheulen, um diesem erschüttert sein, dieser tiefen Traurigkeit und meinem immensen Mitgefühl Ausdruck zu verleihen.

Die Armut, das Leid und das Elend der Menschen ist schwer zu ertragen. Immer mehr wird mir bewusst, dass ich mich in diesem Bereich gerne engagieren möchte um den Ärmsten der Armen zu helfen.


"Die Wahrheit und die Gesichter der Armut."

Wir fuhren draußen zwischen den vielen Tuk Tuks und den Matatus, das sind kleine bunte Minibusse, in allen Farben bemalt, mit lauter dröhnender Musik, kleine Fenster und gefüllt mit 20 bis 25 Personen, die Kinder sitzen den Müttern auf dem Schoss, die Menschen sind eng an eng gepresst, es ist heiß, stickig, die Menschen schwitzen.


Überall auf den Straßen herrscht Stau, wir fahren durch Viertel in denen totale Armut herrscht, Bretterbuden die mit zerrissenen Säcken überspannt sind, Menschen die am Boden sitzen und wahrscheinlich nicht mehr Habseligkeiten besitzen, als die zerschlissenen Kleider die sie an ihren Körpern tragen, dünn und ausgemergelt.


Im Gegensatz dazu wieder feudale Bauten, wo man sich fragt, von wo das Geld genommen wird, wie solche Bauten finanziert werden können, in einem Land bitterer Armut.


In diesen Autoschlangen, großteils durch Matatus, schleichen ausgemergelte Menschen entlang, halb verhungerte eher ältere Frauen, sie strecken dir ihre knochigen Arme ins Auto, betteln um Geld, oder wollen dir irgendwelche kleine Habseligkeiten, die sie selber kreiert haben, verkaufen.


Einmal kommt ein entsetzlicher Geruch von verwestem Fleisch, eine ausgemergelte Frau steckt mir ihren Handrücken entgegen, der offen und verfault aussieht. Die Sehnen und die Knochen sind bereits sichtbar.

Das Fleisch ist aufgeplatzt, doch so schnell sie die Hand ins Auto steckte, so schnell waren wir auch schon vorbei an ihr.

Die Menschen die betteln stehen mitten auf der Straße bei 40 Grad Hitze, mitten in diesen mehrspurigen Autoschlangen, riskieren ihr Leben.


Was haben sie zu verlieren.


Die Bilder der Armut werde ich nie vergessen.
Ich bin still, sehr still ,
traurig, erschüttert und zutiefst berührt.
 
 
 

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